Kohlekraftwerk oder Erdgasförderung – Geschichte wiederholt sich

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Demonstration gegen das geplante Kohlekraftwerk von Dong Energy am 17. Mai 2009 in Emden. Foto: Volkmar Kayser
Demonstration gegen das geplante Kohlekraftwerk von Dong Energy am 17. Mai 2009 in Emden. Foto: Volkmar Kayser

Krummhörn | Am 17. Mai dieses Jahres jährt sich der Jahrestag des Protestes gegen den geplanten Bau eines 1.600 Megawatt-Kohlekraftwerks des dänischen Konzerns Dong Energy zum 10. Mal. Die Organisatoren meldeten 3500 Teilnehmer. Kurze Zeit später – im Oktober 2009 – verkündete Dong Energy, insgesamt drei Kohlekraftwerk-Standorte außerhalb von Dänemark »fallen zu lassen« und auf erneuerbare Energien zu setzen.

Im gleichen Zusammenhang betonte die BI Saubere Luft Ostfriesland: »Der Bebauungsplanentwurf für den Rysumer Nacken sieht nach wie vor ein Großkraftwerk welcher Art auch immer vor«. Diese Frage ist somit immer noch offen. Was der Region danach widerfuhr, war die Austreibung des Teufels mit dem Belzebub. Das 2015 in Betrieb genommene RWE-Kohlekraftwerk in Eemshaven hat ebenfalls eine Kapazität von 1600 Megawatt und sorgt salopp gesagt für Ersatz des Schadstoffausstosses des verhinderten KKW diesseits der Ems.

Was ebenfalls noch offen ist – und sich wiederholt:

Engerhafe | Hier hat der deutsche Ableger des kanadischen Konzerns Vermilion Energy Germany GmbH & Co. KG, die Bewilligung erhalten, den ehemaligen Bohrplatz Engerhafe Z1 nach 30 Jahren wieder in Betrieb zu nehmen. Jürgen Rückheim, Generalbevollmächtigter der Firma, hatte im November 2017 versprochen: »Aufgrund der uns vorliegenden Daten schließen wir die Anwendung hydraulischer Stimulation, das sogenannte Fracking, in Engerhafe aus. Genehmigungen für die Suche nach Erdgas und Erdöl liegen für die Krummhörn, Engerhafe und Bedekaspel vor«.

Pewsum | Das Unternehmen Exxon Mobil Production Deutschland GmbH (EMPG) errichtet in der Krummhörn einen vierten Standort zur Förderung von Erdgas (Greetsiel Süd Z1). Seit Jahrzehnten fördert Exxon Mobil in der Region mit den Bohrungen Uttum Z1, Greetsiel Z1 und Greetsiel West Z1 Erdgas. 1999 wurde die Förderung aus dem Feld Groothusen wegen Erschöpfung der Lagerstätte eingestellt. Seit Inbetriebnahme haben die Bohrungen rund 4 Milliarden Kubikmeter Erdgas gefördert.

Alter Wein in neuen Schläuchen

Mit den erneuten Aktivitäten der Energiekonzerne werden auch die Folgen der Erdgasförderung auf die Umgebung reaktiviert. ExxonMobil betont, dass ein Zusammenhang zwischen den Erkrankungen und der Erdgasförderung nicht erkennbar sei. »Das Thema Krebs ist zu ernst, um hier vorschnell Aussagen zu treffen und leichtfertig Rückschlüsse zu ziehen oder über mögliche Ursachen zu spekulieren«, sagt der Sprecher von ExxonMobil Niedersachsen, Klaus Torp. Bisherige Beschwichtigungen seitens der Konzerne stehen im krassen Widerspruch zu den von zahlreichen Bürgerinitiativen mühsam ans Tageslicht gezerrten Störfällen und ihren gesundheitlichen Folgen:
– Wie wurden damals Lagerstättenwasser und Bohrschlämme entsorgt?
– Welche Auswirkungen haben die Kontaminationen von Erdreich und Grundwasser?
– Kann die durch Leckagen bedingte Freisetzung von Benzol, Toluol, Xylol und Ethylbenzol (BTEX) sowie Quecksilber zu einer erhöhten Belastung der im näheren Umfeld lebenden Bevölkerung durch diese Schadstoffe geführt haben?
– Kann von den im Blut nachgewiesenen BTEX- und Quecksilberkonzentrationen
auf eine gesundheitsschädliche Schadstoffbelastung geschlossen werden?
– Welcher Zusammenhang besteht zwischen erhöhten Krebsraten und Erdgasförderung?
Viele dieser Fragen wurden schon gestellt und »hochwissenschaftlich« untersucht. Übereinstimmend mit dem Tenor: Ein relevanter Zusammenhang konnte nicht nachgewiesen werden.

Bohrturm Pewsum. Foto: Volkmar Kayser

Mit dem Boden versinken die Deiche

»Insgesamt bleibt festzustellen, dass großflächige Bodenabsenkungen mit
schadensrelevanten Auswirkungen durch die Gasförderung in Niedersachsen bislang nicht aufgetreten und auch künftig nicht zu erwarten sind.« Quelle: Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Diese Verlautbarung erfolgte am 04.03.2011 im Artikel »Gasförderung im niedersächsischen Wattenmeer«. Da war wohl jemand nicht auf dem Stand der Ermittlungen. Scheibchenweise kommt ans Licht, was die Spatzen von den Dächern pfeifen. Der Krummhörner SPD-Ratsherr Helmut Roß wundert sich immer noch, dass das von Oberdeichrichter Giesbert Wiltfang angesprochene Problem der Deich-Absackungen durch Erdgasbohrungen so hohe Wellen schlägt. »Ich habe seit 1992 auf dieses ungeklärte Problem hingewiesen«, sagte Roß. Ihm liege ein Schreiben vom 8. Dezember 1993 vor, in dem das zuständige Landesbergamt in Clausthal-Zellerfeld der Gemeinde Krummhörn mitgeteilt habe, dass durch Bohrungen in Groningen mit Bodenbewegungen größeren Ausmaßes im Küstenbereich nicht zu rechnen sei.

Hintergrund: Infolge der Erdgasgewinnung auf niederländischem Gebiet bildet sich ein Senkungstrog aus, der über die Emsmündung bis in den Bereich Krummhörn auf niedersächsischem Gebiet reicht. Nach den Prognosen ist für das Jahr 2050 (nach neuerem Stand: 2030, Anm. d. Redaktion) als voraussichtlichem Ende der Erdgasförderung eine maximale Senkung von ca. 40 cm (Stand von 2014). Bis zum Jahr 2030 Senkungen zwischen 40 und 60 cm, Anm. d. Redaktion) im Bereich Groningen zu erwarten. Auf niedersächsischem Gebiet werden maximale Senkungen von ca. 20 bis 25 cm im Bereich Knock / Rysumer Nacken prognostiziert. Bisher sind in diesem Bereich maximale Senkungen von ca. 12 bis 13 cm aufgetreten. https://www.wattenrat.de/aktuell/aktuell147.htm Auch hier gilt: Nichts Genaues weiß man nicht, aber zu leugnen ist der Trend auch nicht.

Von ähnlichen Zahlenspielereien kann auch die Bürgerinitiative Lebensqualität Horsten-Etzel-Marx e.V. berichten. In ihrem Gebiet befindet sich die größte Kavernenanlage Ostfrieslands zur Speicherung von Erdgas und Erdöl in einem Salzstock. Schon die Solung von Kavernen durch das Ausspülen des Salzes führt durch den ungeheuren Druck der darüber liegenden Gebirgsmassen langfristig zu Bodenabsenkungen. Am 20.01.2011 hat die IVG als Betreibergesellschaft die in ihrem Auftrag von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) erstellte Prognose für Bodenabsenkung im Kavernenfeld Etzel vorgestellt.
Gemäß dieser Prognose soll es bis zum Jahr 2044 bei einem Bestand von 70 Kavernen bis zu einer Absenkung von 147 cm kommen. Aber die Absenkungen werden in 2044 nicht beendet sein!
Zur Erklärung: Bedingt durch das Kriechverhalten des Salzstocks geht die Konvergenz (der Hohlraumverlust in der Kaverne) weiter, bis die Kaverne wieder »zugewachsen« ist. Ein Gegengutachten für die Bürgerinitiative vom 17.04.2012 stellt fest: »Aufgrund des Prinzips der Massenerhaltung muss das in den Kavernenhohlraum hinein kriechende Salz an anderer Stelle abwandern. Diese Massenumlagerung wirkt sich letztendlich an der Geländeoberfläche oberhalb der Kaverne in Form eines Senkungstrichters aus. Das Senkungsvolumen entspricht im Endstadium dem Volumen des ausgesolten Salzes«. Und weiter: »Für das erste, zwischen 1974 und 1978 hergestellte Kavernenfeld im Salzstock Etzel errechnen sich auf Grundlage des geometrischen Hohlraumvolumens nach vollständig erfolgter Konvergenz mittlere Bodensenkungen von 5,91 Meter. Bei Ansatz des (unbekannten) aufgelösten Steinsalzvolumens würde der Senkungsbetrag vermutlich deutlich größer ausfallen.

Bodensenkung still und leise oder Erdbeben mit Getöse?

Ob schleichend oder plötzlich: Die lange Ignoranz der Behörden gegenüber Bodenabsenkungen ist schon längst vom Bürger misstrauisch beäugt worden. Der Satz: »Wenn in Norddeutschland die Erde bebt, kommt´s vom Fracking« ist weder falsch noch widerlegt. Ob die entstandenen Schäden durch die Entlastung des Deckgebirges und den Abbau seismischer Spannungen oder tatsächlich durch Fracking verursacht werden, ist dem Geschädigten egal. Wichtig ist ihm der Ausgleich des entstandenen Schadens durch die Erdgasförderung. Die lange wirksame Taktik von Behörden und Konzernen, die Zusammenhänge zu leugnen, wurde mittlerweile aufgegeben. »…hat die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) aus Hannover in einer ersten Stellungnahme am 12. Dezember 2012 festgestellt, dass ein Zusammenhang zwischen der konventionellen Erdgasförderung und dem seismischen Ereignis wahrscheinlich ist«. Auch die Politik schwenkt um: Wenngleich keine Gefahr für die in der Region lebenden Menschen bestünde, dürfe es ein »weiter so« nicht geben, äußerte sich der Niedersächsische Wirtschaftsminister Jörg Bode im gleichen Zusammenhang. Parallel hierzu richtete das LBEG zum 01. Januar 2013 einen zentralen Erdbebendienst ein. Er soll Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Auftreten von Erdbeben in Niedersachsen in Kooperation mit der BGR bearbeiten. Ob auch dem Schaden entsprechender finanzieller Ausgleich obligatorisch für den Verursacher vorgesehen ist, wurde nicht verlautbart.

Trinkwasserschutz ist nicht verhandelbar

Das Wasserwerk Engerhafe versorgt viele Gemeinden im Landkreis Aurich mit Trinkwasser, auch die Krummhörn, Hinte und Stadtteile Emdens. Die Fachleute beim Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverband (OOWV) kämpfen schon lange mit einer hohen Nitratbelastung durch die Landwirtschaft bei der Aufbereitung von Trinkwasser und lehnen die Bohrung in der Nachbarschaft des Trinkwasser-Reservoirs Engerhafe ab. »Wir wissen nicht, was mit der Gasförderung im Trinkwasserschutzgebiet nach oben kommt. Es gibt immer ein Risiko. Darum ist der Grundwasserschutz nicht verhandelbar«, sagt Markus Penning, Abteilungsleiter Hydrochemie und Boden beim OOWV. In Engerhafe wurde schon vor rund 30 Jahren Gas gefördert; wo und ob damals Bohrschlämme und Lagerstättenwasser mit gesundheitlicher Belastung in das Erdreich und in Grundwasser führende Schichten gelangten, ist nicht mehr nachzuvollziehen.

Wasser nur noch aus Flaschen, von Konzernen weit heran gekarrt und teuer verkauft – weil einheimisches Wasser nicht mehr genießbar ist? Foto: pixabay / inkflo

Grenzwerte für hochtoxische Substanzen sind Zugeständnisse an die Industrie.

In der Sprache der Konzerne drängen sich dem Betrachter Aussagen auf den websites der Unternehmen auf, z.B.: »Die Prioritäten von Vermilion sind Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz vor Wirtschaftlichkeit. Dies bedeutet, dass das Wohl der Anwohner, unserer Mitarbeiter und der Natur für uns an erster Stelle steht«. Andererseits gibt es sichtbare Folgen menschlicher Eingriffe in die Natur und viele drängende Fragen:
– Induzierte Seismizität: (Menschengemachte Erdbeben) durch Einpressen von Abwässern, bei der konventionellen und unkonventionellen Förderung von Erdöl / Erdgas nicht nur mittels Fracking.
Gesundheitsgefahren durch Boden-, Wasser- und Luftverunreinigung: Quecksilber in Sedimentproben, auffällige Werte von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK). Wer mehr über Umwelterkrankungen wissen will, dem sei die website des GENUK empfohlen.

Foto: pixabay / Niek Verlaan

Die Prioritäten Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz vor Wirtschaftlichkeit sind richtig, der Platz an erster Stelle für Anwohner, Mitarbeiter und Natur ebenfalls. Wenn wir es nicht genau wüssten und nicht schon Dutzende Male hinters Licht geführt worden wären – dann wäre es einfacher, zu vertrauen. Wenn Ihr, die Konzerne, es nicht umsetzt, dann werden wir dafür kämpfen und Euch der Lüge bezichtigen dürfen.

Abruf aller verlinkten Dokumente letztmalig am 29.04.2019